Esther Bejarano und die Microphone Mafia: „Vom Mädchenorchester in Auschwitz zur Rap-Band gegen rechts“ – trotz ernster Thematik wurde viel gelacht

22. Juni 2018

von Gabi Kunze, Pfalz Express

Landau. Die Menschen standen am Donnerstagabend (14. Juni) Schlange vor dem Alten Kaufhaus in Landau. Die Sitzplätze in dem geschichtsträchtigen Gebäudekomplex reichten nicht aus, der Andrang war zu groß.

„Das ist ein gutes Zeichen, dass so viele gekommen sind“, meinte Bürgermeister Ingenthron, der stellvertretend für Oberbürgermeister Hirsch, der auch Schirmherr der Veranstaltung war, eine Begrüßungsrede hielt.

„Es werden immer weniger“, so Ingenthron, „die diese Zeit während der Naziherrschaft erlebt haben und darüber berichten können. Es dürfen aber die nicht weniger werden, die daran erinnern. Keiner will je wieder in einer Diktatur aufwachen.“

Es wäre eine Gemeinschaftsaufgabe, die niemals endet. Angesichts der Entwicklung der AfD, die sich „zunehmend in diese Richtung entwickelt und als eine Partei entpuppt mit solch einer Gesinnung“, gelte es, etwas dagegen zu tun.

Als die 93-jährige Esther Bejarano auf die Bühne trat, war es ein ergreifender Moment, was dem Publikum anzumerken war. Eine kleine Frau mit entschlossenem Gesichtsausdruck, die vor dem Mikrofon Platz nahm und mit fester Stimme aus ihrem Buch „Erinnerungen“ vorlas:

Erinnerungen
 Vom Mädchenorchester in Auschwitz zur Rap-Band gegen rechts.
(Laika Verlag)

In ihren 45-minütigen Schilderungen konnte man feststellen, dass es einen großen Unterschied macht, ob man einen Bericht über diese Thematik im Fernsehen sieht, etwas darüber liest, oder ob ein Mensch, der die unglaublichen Grausamkeiten am eigenen Leib erfahren musste, dies persönlich schildert.

„Wohin bringt man uns?“ Das war die Frage, die sich alle stellten, die in den Viehwaggons in Richtung Auschwitz transportiert wurden. Auf dem mehrtägigen Transport starben die Alten und Schwachen, die Zustände in den Zügen waren unerträglich.

Am 20. April 1943 kam Esther Bejarano in Auschwitz an. Von in Zivil gekleideten Männern wurden sie begrüßt, zunächst ganz freundlich. Dann wurde aussortiert. Die einen ins Lager, die anderen ins Gas, wovon sie damals noch nichts wussten.

Im Lager selbst warteten die SS-Frauen und SS-Männer auf sie: „So, ihr Saujuden, jetzt werden wir euch zeigen, was arbeiten heißt. Arbeiten hieß, sinnlos Steine hin und her zu schleppen, bis man dadurch zu Tode kam.

Esther Bejarano bekam ihre Nummer eintätowiert, sie war ab jetzt die Nummer 41948, die Namen wurden abgeschafft.

Nach einer entwürdigenden und üblen Reinigungsprozedur wurden die Köpfe der Verängstigten und Erschöpften kahl geschoren. Man brachte sie in ehemaligen Pferdeställen unter. Sie lagen auf Holzbrettern, ohne Stroh, ohne Decken. Es war April und noch kalt. Die Suppe, die sie einmal am Tag erhielten, war aus Kartoffelschalen oder ungenießbaren Kräutern gekocht und wurde nur deswegen gegessen, weil sie warm war.

„Die SS hatte kein Erbarmen. Sie hatten ja gelernt, wehrlose Frauen zu prügeln und waren noch stolz auf ihre Taten.“

Eines Tages wurde nach Musikerinnen gesucht. Esther Bejarano konnte Klavier spielen. Doch ein Klavier war nicht vorhanden, nur ein Akkordeon. Sie wusste, dass sie die schwere Arbeit mit dem Steineschleppen nicht viel länger durchhalten würde.

Um zu überleben gab sie vor, sie könne Akkordeon spielen. Sie fand sich mit dem Instrument letztendlich soweit zurecht, dass es ihr quasi das Leben rettete. „Es gab trotzdem viele Momente, in denen man gehofft hat, bald tot zu sein, um die Grausamkeiten der SS-Bestien nicht mehr ansehen zu müssen.“

Bejarano traf auch auf den berüchtigten Doktor Mengele: „Beim Appell wurden oft Selektionen vorgenommen. Da kam dann der Oberstabsarzt Mengele mit seinen Helfern. Er stand vor uns, und wenn er vor einem Häftling seine Hand nach rechts bewegte, so war er für die Gaskammer fällig.“

Das Orchester, in dem Bejarano spielte, musste an den Toren von Auschwitz Musik machen. So wurden die Ankömmlinge auf perfide Weise in Sicherheit gewogen.

„Wo man Lieder spielt, da kanns ja nicht so schlimm sein.“ Eine schreckliche psychische Belastung für das Orchester, durchlebten sie doch tagtäglich, dass dies ein Vernichtungslager, ein Todeslager war.

Spätestens im April 1945 war klar, dass der Krieg für die Deutschen verloren war. Es folgte der sogenannte Todesmarsch aus dem Konzentrationslager. Obwohl jeder wusste, der Krieg ist bald zu Ende, haben die SS-Schergen weiterhin gemordet.

Ist ein Mensch während des Marsches gestürzt, wurde er ohne zu zögern erschossen. Esther Bejarano und ihre Kameradinnen beschlossen, zu fliehen. Es gelang ihnen. Später trafen sie auf russische und amerikanische Soldaten. Sie fielen sich vor Freude über das Ende dieser Schreckensherrschaft in die Arme.

Bejarano bekam von einem Soldaten ein Akkordeon geschenkt, nachdem er von ihrer Geschichte im KZ Auschwitz gehört hatte.

Ein Bild von Hitler wurde auf dem Marktplatz verbrannt, die Soldaten und Mädchen tanzten und Esther spielte dazu auf dem Akkordeon. „Das war meine Befreiung, meine zweite Geburt.“ Ihre Eltern und etliche Verwandte und Freunde haben das Hitlerregime nicht überlebt.

„Ballade von der Judenhure“

„Sage nie, du gehst den letzten Weg.“ Mit diesem Lied begann der musikalische Teil dieses Abends. Es ist ein Partisanenlied, eine Hymne des jüdischen Widerstands, das von der Band „Mikrophone Mafia“ durch Rap-Elemente neu aufbereitet und gemeinsam mit Bejarano gesungen wurde. Ihr Sohn Joram begleitete sie an der Gitarre.

Es folgten ein jüdisches Volkslied und die „Ballade von der Judenhure“ von Berthold Brecht, vertont von Hans Eisler „…um den Hals ein Schild, das Haar geschoren, die Gasse johlte….“

Moderierend führte durch das musikalische Programm Kutlu Yurtseven, Mitbegründer der Microphone Mafia. Er berichtete über die Entstehung der Rap-Band, einer Musik, mit der man auch junge Leute erreichen kann.

Im Deutschkurs, in dem er „nicht als Schüler war, sondern den er als Lehrkraft gehalten habe“, wie Yurtseven augenzwinkernd erzählte, ging es um die Kampagne „Schlauer statt rechts“. Jugendlichen sollte die Erinnerungsarbeit näher gebracht werden.

Als er „Die Bürgschaft“ von Schiller gerappt hatte, fanden das die Schüler plötzlich cool. Es folgten Klausuren in Gedichtform. Natürlich wurde alles abgesprochen, was geht und was nicht geht.

Das hätten zwei Rapper wohl auch machen sollen, die einen Echo trotz rassistischer Texte erhielten. Aber etwas Gutes hätte es gehabt, „so ist der Echo abgeschafft worden, den auch ´Frei.Wild´ erhalten hat.“

„Musik muss man erst fühlen“, so Yurtseven. Er wollte Esther Bejarano mit ins musikalische Boot holen. Ihr Sohn und sie waren zuerst nicht sonderlich angetan von der Art Musik, aber die Texte fanden sie toll.

„Warum ruft die Mafia bei mir an?“ Ester Bejarano fand den Bandnamen nicht so prickelnd. Aber wie es sich für einen „Gangsterrapper“ gehört, trafen sie sich bei Kaffee und Kuchen auf Esther Bejaranos Terrasse, danach folgte das erste gemeinsame Album. In den letzten drei Jahren sind daraus über 240 Konzerte geworden.

Am 1. September feiern sie ihr Zehnjähriges, worauf Bejarano laut „Jawohl!“ rief. Sie, die die Mitglieder der Mikrophone Mafia quasi „eingeenkelt“ hat.

Bejarano bewies an diesem Abend einen bodenständigen Humor. Trotz der Schwere der Thematik wurde viel gelacht und das Publikum zum Mitsingen eingeladen, was es gerne und voller Begeisterung tat.

Es wurde auch ein Lied von der Kölner Band „De Höhner“ gesungen: „Wann jeiht de Himmel widder op“.

„Ich seh nicht typisch deutsch aus“, so Yurtseven, „aber typisch kölsch“. „Mein Großvater war Gastarbeiter, mein Vater Ausländer und ich habe Migrationshintergrund, das nennt man jetzt „transkulturell“.

Als sein Großvater deutsch lernen wollte, hieß es: „Mehmet, du bist hier um zu arbeiten und nicht, um deutsch zu lernen.“ Später beschwerten sich viele, dass die Gastarbeiter kaum deutsch sprechen konnten.

Er sprach das Thema Rassismus in Deutschland an, das jeden Menschen in der Gesellschaft angehe. „Ein junges Mädchen wird ermordet und dann wird alles mit Rassismus übertüncht.“ Er wies auf die entmenschlichte Bezeichnung „Döner-Morde“ rund um die NSU-Verbrechen hin und die Täter-Opfer-Umkehr, die auch nach Brandanschlägen oft geschehen ist.

Es würde darüber geredet, Fluchtursachen bekämpfen zu müssen, „aber unsere Lebensform ist doch die Fluchtursache“.  Oder ob Nestle anderen die Wasserressourcen wegnimmt, Kinder bis zu den Knien in Chemikalien stehen und ihnen damit Lebengrundlagen entzogen werden, damit „wir billige T-Shirts haben und billigeres Wasser von Großkonzernen.“

Der Abend war voll von unbequemen Wahrheiten. Doch er war auch kraftvoll und inspirierend. Eine kleine Frau von 93 Jahren, deren Rache an den Nazis es ist, überlebt zu haben, bis heute.

Eine tapfere Frau, die ihre ganze Lebensenergie nimmt, um dem entgegenzutreten, was nach wie vor in der Gesellschaft vorhanden ist: menschenverachtendes Gedankengut. Ideologien, die nicht nur Worte sind und schnell zu Taten werden.

„Jemand von uns muss überleben“; sagten ihr damals die Kameradinnen im KZ Auschwitz-Birkenau. „Jemand muss überleben, um darüber zu berichten, was hier passiert ist.“ Das hat Esther Bejarano getan.

Das Publikum zollte mit stehendem Applaus den für mehr Menschlichkeit und gegen das Vergessen Kämpfenden ihren Respekt. Es war eine ergreifende Veranstaltung.

Organisiert wurde sie vom Verein Kulturzentrum Altstadt, allen voran Thomas Kunz, der auch die einführenden Worte sprach.