Rede von Jürgen Schuhladen-Krämer (VVN-BdA) bei der Gegenkundgebung gegen „Karlsruhe wehrt sich“ am 3. September 2016

6. September 2016

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„Anwesende Antifaschistinnen und Antifaschisten,

Nachher, zum 28. Mal seit Anfang vergangenen Jahres, werden sich Neonazis versammeln und anschließend durch Karlsruhe marschieren. Ihnen wird von den städtischen und Justizbehörden der Schutz des Versammlungsrechts gewährt, von der Polizei martialisch abgesichert, obgleich sie in ihren Parolen zum Hass gegen MigrantInnen und Flüchtende und gegen Andersdenkende aufrufen. Die Maske angeblich besorgter Bürger, unter der sich anfangs das „Pegida-Muster“ darstellte, ist längst gefallen. Die Verbindung bzw. Organisation der Neonazi-Szene ist offensichtlich und die Truppe nachher, gibt sich auch nicht einmal mehr die Mühe, das zu kaschieren. Diese rechte Stoß-Truppe, die sich nach mehreren Namenswechseln und Reorganisierungsansätzen aktuell „Karlsruhe wehrt sich“ nennt, ist ein kläglicher Haufen, inhaltlich, aber auch nach Köpfen. Sie bekommen ihr Projekt, sich zum Führer des nationalistisch und rassistisch denkenden und dazu mobilisierungsfähigen Bevölkerungsteils nach dem Muster der Pegida-Aufmärsche aufzuschwingen, nicht hin. In diesem Sinne lässt sich ihr Gescheitertsein festhalten. Ohne den antifaschistischen Protest wären sie nicht so schnell auf den dünnen Kern der Neonazi-Reisetruppe zurückgefallen. Aber diese Neonazis haben mit ihren Provokationen etwas erreicht, das sie in den Jahren zuvor in Karlsruhe nicht hatten – dass ihnen Plätze und die Straße reserviert werden – und deswegen kommen sie immer wieder. Gegenprotest, der sich ihrer chauvinistischen, faschistischen Hetze in den Weg stellt, wird von der Polizei weggeräumt, kriminalisiert und mit Verfahren verfolgt. Bislang über hundert Mal gegen AntifaschistInnen, mit vielen Tausend € Bußgeld bislang. Neonazis wurde und wird das verfassungsmäßige Recht sich zu versammeln oder zu demonstrieren  exzessiv bescheinigt und geschützt. Es gibt aber kein Grundrecht für Nazipropaganda. Artikel 139 mit dem Verbot des Nationalsozialismus bzw. seiner Organisationen steht im Grundgesetz. Der antifaschistische Protest dagegen wurde und wird behindert und diskreditiert mit der Formel von „rechts gleich links“, mit der so genannten Extremismustheorie. Das hat die Neonazis in Karlsruhe gepusht und deswegen gefällt ihnen Karlsruhe so ausnahmslos gut, dass sie ihren deutschlandweiten  so genannten „Tag der deutschen Zukunft“ im kommenden Jahr am 3. Juni 2017 in Karlsruhe abhalten wollen. Da kommen dann keine handvoll Dutzend wie nachher, sondern über 1.000 Hardcore-Nazis.

Sicher, offene Neonazis sind hierzulande immer noch isoliert, sind keine Massenorganisation. Ihr rassistisches, nationalistisches, fremdenfeindliches, antisemitisches, autoritäres, antifeministisches, sexistisches, homophobes Weltbild ist es aber nicht isoliert. In Deutschland gibt es rassistische und rechte Kontinuitäten lange vor 1990. Menschen, die als nicht-deutsch wahrgenommen werden, müssen nicht erst seit der Sarrazin-Debatte mit persönlichen Einschränkungen, Diskriminierungen, Abwertung und Gewalt leben. Dies zeigen uns personelle wie rechtliche Kontinuitäten nach dem Nationalsozialismus. Dies zeigt die bundesdeutsche Asylgesetzgebung seit den 1980er Jahren. Dies zeigen die 192 bekannten Todesopfer rechter Gewalt seit 1990, wobei von etlichen Unbekannten auszugehen ist. Die zeigt uns die Akzeptanz von NPD, DVU und Republikanern über die Jahrzehnte, die immer wieder in Landesparlamente oder kommunale Vertretungen gewählt wurden. Dies zeigen uns Studien, wie die „Deutschen Zustände“ oder die so genannten „Mitte-Studien“, in denen der schon seit Jahrzehnten nachweisbare Bodensatz von mindestens 20 % äußerst rechts Eingestellter empirisch nachgewiesen wird – beim Einstellungsmuster Flüchtlingsablehnung/Rassismus allein ein deutlich höherer Prozentsatz.

Lange Zeit gab es – allerdings trotz immer wieder langer Perioden von NPD oder so genannter Rechtspopulisten in Länderparlamenten – keine Partei der äußersten Rechten, die sich in Deutschland als stabiles Sammelbecken erweisen konnte wie in anderen Ländern. Das sieht jetzt anders aus. Es scheint, dass die AfD dieses Sammelbecken angesichts des unübersehbar werdenden Rechtsruckes wird als neuer rechter Hoffnungsträger und womöglich dauerhaft – wenn es keine Gegenwehr und Alternativen gegen gibt und wenn keine adäquate Bewegung für Solidarität und Bekämpfen der tatsächlich bestehenden sozialen und ökonomischen Probleme gibt. Rechte und rassistische Stimmungen sind augenblicklich zu einer Bewegung gewachsen, die sich je nach Region auch von eindeutigen Neonazis mobilisieren lässt, insbesondere wenn es gegen Flüchtlingsunterkünfte geht.

Sicherlich wäre es analytisch nicht korrekt, die AfD insgesamt als neonazistisch zu bezeichnen. Aber ihre Abgrenzungsversuche und angeblichen Unvereinbarkeiten gegen ihre gescheiterten Rechtsaußenvorläufer wie Republikaner, Die Freiheit oder Pro-Bewegung sind nicht ernst zu nehmen. Immer wieder lassen sich auch alte Neonazikader in führenden Positionen bei ihnen finden. Alte völkisch-rassistisch-faschistische Rechtsextreme verbinden sich mit neuen Rechten und mit bislang als Konservativ Geltenden. Die AFD wird zum Fixpunkt dafür. In Mecklenburg-Vorpommern wurde dieser Tage ein solches Beziehungsgeflecht aufgedeckt [Süddeutsche Zeitung]. Eine Figur der Deutschen Liga für Volk und Heimat aus den 1990ern und Mitglied rechtsextremer schlagender Verbindung – der Unternehmer Philip Steinbeck, der auch engen Kontakt zum verstorbenen NPD-Rechtsanwalt und Aktivisten Jürgen Rieger hatte, richtete vor 2 Monaten auf seinem Schloss eine Charityparty  aus – ein VIP dieser Veranstaltung war AFD-Vize  Alexander Gauland.  Steinbeck unterhält viele Kontakte ins neonazistische Lager und ebenso zur NPD. Die NPD in Mecklenburg-Vorpommern verzichtet auf Direktkandidaturen und wird so der AfD vermutlich zu mehr Direktmandaten bei der morgigen Landtagswahl verhelfen. Aber auch hier in Baden-Württemberg hat das bürgerliche Mäntelchen der AfD deutliche Risse, nicht erst wegen des Antisemitismus ihres Abgeordneten Gedeon. In diesem Landesverband bildet  die neurechte Identitäre Bewegung praktisch den Vorstand der Jugendorganisation zusammen mit Vertretern rechter Studentenverbindungen organisiert in der rechtsextremen Deutschen Burschenschaft. Einer davon, der Freiburger Jung-Rechtsanwalt Dubravko Mandic  spricht es offen aus: „Von der NPD unterscheiden wir uns vornehmlich durch unser bürgerliches Unterstützer-Umfeld, nicht so sehr durch Inhalte“. Insgesamt aber ist der springende Punkt nicht nur der immer wieder zu erbringende Nachweis neonazistischen Personals in dieser Partei. Und es kann auch nicht nur um die Frage gehen, ob die AfD nur etwas konservativer oder rechter ist als die so apostrophierte rechte, rechte Mitte (also bspw. der frühere Stahlhelmflügel der CDU). Nein, das Problem ist der Rassismus, der sich so leicht mobilisieren lässt, ungeachtet der unterschiedlichen Positionen und Traditionen der verschiedenen äußerst rechten Gruppen und Milieus – der Rassismus ist augenblicklich das Bindeglied und das Muster der Einheitsfront für die Rechten aller Couleur und darüber hinaus bis in die Mitte der Gesellschaft – im Falle einer möglichen Kriegsführung über die EU, auf die die Politik hinorganisiert, dürfte extremer Militarismus und besonderer Chauvinismus dazu kommen.

Das Projekt AfD als parteiförmiger Ausdruck eines rechten Teils der Bevölkerung, der bisher bei Republikanern, DVU, NPD bei Wahlen das Kreuz machte oder zuhause blieb oder bisher von anderen Parteien gebunden wurde, ist organisatorisch zu einem gewissen, aber eher kleineren Teil, ein Sammelbecken der bisher rechts Organisierten, aber vor allem eines, in dem vormals als konservativ und bürgerlich Geltende nun in radikalisierter Zuspitzung und bar von humanistischen Erwägungen die Prinzipien der Ausgrenzungs-, Konkurrenz- und Leistungsgesellschaft vertreten.  Prinzipien wie sie von Parteien der so genannten  Mitte aber auch vertreten werden, wenngleich nicht mit der letzten inhumanen Konsequenz. Erwägt die Mitte („die demokratischen Parteien“) Grenzkontrollen oder gar Grenzzäune, tönt es aus der AfD nach Schusswaffengebrauch. Dabei hat ein Politiker der Mitte schon vor fünf Jahren mit dem „Kampf bis zur letzten Patrone“ gegen Migration gedroht – CSU-Seehofer. Spricht „die Mitte“ die von leichteren Abschiebungen selbst gering Straffällig gewordener MigrantInnen kann die AfD das kaum noch überbieten. Ein anderer Vertreter der Mitte zog vor zwei Wochen den  Schluss, „dass das humanitäre Bleiberecht [für Flüchtlinge] nicht mehr so großzügig ausgelegt werden könne“ – Boris Palmer, Tübinger Grünen-OB, die AfD brauchte erst gar nicht zu kommentieren. Die AfD oder der so genannte Rechtspopulismus kann nicht als die Light-Variante oder weniger radikale Position als der Rechtsextremismus von Neonazis gelten. Es ist nicht nur die Frage ob Gewalt oder nicht, denn das was aus dem Kreis von  AfD und der rassistischen Gida-Bewegung an menschenverachtenden Debatten und repressive Forderungen gegen Flüchtlinge, MigrantInnen, angeblich schleichenden Islamismus kam und kommt, ist geistige Brandstiftung, die reale nach sich zog und zieht.

Und es spielt im Ergebnis keine Rolle, ob der ältere biologische Rassismus der Alten Rechten, der Menschen in höher- und niederwertige Rassen mit unveränderlichen Eigenschaften einteilt, oder der moderner daherkommende Rassismus der neuen Rechten wie vieler Konservativer, der auf Ethnie und vor allem Kultur aufbaut. Immer geht es um das rücksichtslose Verfechten von Ungleichheit, von Höher- und Niederwertigkeit. Das Prinzip der Ungleichheit ist aber die Prämisse des vorhandenen Wirtschaftssystems, das diese nochmals radikalisiert im Neoliberalismus. Dieses ökonomische Prinzip treiben die Rechten politisch auf die Spitze.

Während Tausende Flüchtende an den Außengrenzen der EU sterben, im Mittelmeer ertrinken, etabliert sich in ganz Europa ein neuer rechter Block. Hier die AfD, in Frankreich der Front National, in Österreich die FPÖ usw. Hier nutzt die AFD das gebrochene Glücks- und Freiheitsversprechen des Neoliberalismus, um mit Rassismus, sozialchauvinistischer „Systemkritik“ und reaktionärem Antifeminismus die Privilegien eines weißen, männlich dominierten Deutschland zu verteidigen. Die über Jahre durchgesetzte Sparpolitikpolitik mit realer oder drohender Verarmung und Prekarisierung ist zum Nährboden dieses rechten Blocks geworden.

Aber der Rassismus und Nationalismus sind kein Randphänomen, sie reichen weit in Politik und Gesellschaft hinein. Die AfD baut auf dem verwurzelten alltäglichen Rassismus in der Mitte der Gesellschaft und auf institutionalisierten Rassismus. Sparpolitik bei gleichzeitiger Begünstigung von Vermögen und Anreizsetzung für das Kapital, die Politik der Umverteilung und Prekarisierung, der Hierarchisierung des Elends, des Exports der Agenda 2010 in die ganze EU. Fehlende Erwerbsarbeitsplätze, zurückgehende Reallöhne, der Mangel an bezahlbaren Wohnungen, die Aussicht auf Armutsrenten, Jugendarbeitslosigkeit, unsichere Arbeitsverhältnisse. Diese Politik festigt die Grenzen im Inneren, sie zielt auf die Entrechtung und den Ausschluss von so Vielen. Gegen rechts zu sein, heißt deswegen immer auch konsequent solidarisch zu sein und die Grenzen zwischen arm und reich, zwischen oben und unten, zwischen innen und außen, zu überwinden. Gleiche Rechte für alle sind zu fordern, ein gutes Leben für Alle. Das bedeutet Wehren gegen „oben“ und nicht Treten nach „unten“ und ist die Antwort auf die feige rassistische Spaltung.

Zunächst gilt hier und heute für uns jedoch das Nächstliegende: Da Justiz und Stadt dem rechten Spuk in Karlsruhe kein Ende bereiten werden, liegt es an der Mehrheit der hiesigen Gesellschaft, ob und wie lange sich noch Neonazis und ihre rassistische Hetze in Karlsruhe austoben kann und ob nächstes Jahr Karlsruhe zum bundesweiten Sammelpunkt aller Nazis werden soll. Diese einzubeziehen, dazu warten für die nächste Zeit noch einige Aufgaben auf uns.“