OdF-Gedenktag 2013
Über fünfzig Menschen folgten der Einladung der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der AntifaschistInnen (VVN-BdA) am 24. November zum Gedenken an die Opfer des Faschismus auf dem Hauptfriedhof in Karlsruhe. Sie zogen geschlossen vom Haupteingang zum Ehrenmal für die Opfer der Euthanasie, das alljährlich als Mahnmal für die Opfer des Faschismus und des Widerstands interpretiert wird, da es ein solches in Karlsruhe bis heute nicht gibt. Dort wurden sie wie immer mit einem Trompetensolo des Kameraden Helmut empfangen.
Vor dem Hintergrund ihrer eigenen Familiengeschichte beschäftigte sich Angelika Messmer in ihrer Rede mit Begriff und Praxis der Verantwortung. Ihr Vater, Dr. Willy Messmer (1914-2008), gehörte zu der Generation, die den Faschismus mit vollem Bewusstsein erlebt hatte. Doch er machte sich durch Schweigen und Gleichgültigkeit schuldig. Seine Schuld einsehend und willens zur Reue und Aufarbeitung engagierte er sich zeitlebens in der Ligue Internationale Contre le Racisme et l’Antisémitisme (LICRA). Dieser familiäre Hintergrund prägte Angelika Messmers Kindheit und humanistische Erziehung. In Reminiszenz an ihren Vater führt sie dieses geistige Erbe fort. Verantwortung, sagt sie, bedeute wahrheitsgemäßes Erinnern und Fürsorge für Recht und Gerechtigkeit ebenso wie die Erziehung zur Menschlichkeit und Freiheit und Demokratie. Und ihr eindrucksvoller Schlussgedanke: »„Ewige Wachsamkeit ist der Preis der Freiheit„ sagte Robert Kempner und er hat Recht! Sorgen wir dafür, dass ein lebendiges Erinnern in unserem kollektiven Gedächtnis verankert wird, damit solch ein Verbrechen niemals wieder unter aller Augen gesche¬hen kann und bewahren wir uns das Erschauern vor dem Geschehenen, damit wir uns die Wider¬standskraft unserer Menschlichkeit erhalten, denn es gilt auszuhalten ,“das der Tod ein Meister aus Deutschland war.“ Verneigen wir uns also heute und für immer vor den Opfern und den wahren Helden des Widerstands.«
Im Anschluss an die Rede wurden im Gedenken an die Opfer des Faschismus Kränze und Blumengebinde niedergelegt. Bemerkenswert erneut das traditionell breite politische Spektrum: Bündnis 90/Die Grünen (Gemeinderatsfraktion und Vorstand des Kreisverbandes), DFG-VK, DGB, DKP, Ettlinger Bündnis gegen Rassismus und Neonazis, DIDF, Interventionistische Linke, Partei DIE LINKE, Pax Christi und Friedensinitiative Bruchsal, Stadtjugendausschuss Karlsruhe sowie die VVN-BdA Karlsruhe.
Der zweite Teil der Gedenkveranstaltung fand auf dem Gräberfeld für sowjetische und polnische Zwangsarbeiter auf dem jüdischen Teil des Friedhofs statt. Dort sprach Dieter Behringer, stellvertretender Vorsitzender des DGB-Kreisverbandes Karlsruhe Land. Er beschäftigte sich zunächst historisch mit der Zwangsarbeit in Karlsruhe. Unter der Diktatur des Faschismus gab es zehntausende Zwangsarbeiter in Karlsruhe, nicht nur in der Rüstungsindustrie, sondern auch in der Stadtverwaltung. Anschließend schlug Dieter Behringer eine Brücke zur Jetztzeit: Auch heute noch fordere das kapitalistische Profitsystem Tausende, ja Millionen von Todesopfern. Konkret ging er auf die Flüchtlingskatastrophe vor Lampedusa ein, stellvertretend für alle Flüchtlinge, die durch die EU-Grenzpolitik ermordet wurden. Warum mussten diese Menschen sterben? Schuld seien nicht illegale Schleuserbanden, wie Politik und Medien verlautbarten, sondern die kapitalisti¬sche Ausbeutung des afrikanischen Kontinents durch EU und USA. Afrikanische Staaten seien jahr¬zehntelang kaputtkonkurriert und dort, wo sich Widerstand regte, mit militärischen Mitteln zerschlagen und unterworfen worden. Die Toten an den Grenzen der EU seien kein Anzeichen für eine misslungene Grenzpolitik; im Gegenteil, sie seien Ausdruck des Funktionierens der militäri¬schen Absicherung der Grenzen der EU (»FRONTEX«), Ausdruck der Unmenschlichkeit des EU-Kapitalismus. Erinnern wir uns des Schwurs von Buchenwald »Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln [ich wiederhole mit seinen Wurzeln] ist unsere Losung. Der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel. Das sind wir unseren gemordeten Kameraden, ihren Angehörigen schuldig.« Die Lösung des Problems mit seinen Wurzeln könne nur in einer Überwindung des Kapitalismus liegen. Nur auf diese Weise könne die Ausbeutung anderer Staaten und Kontinente dauerhaft beendet, ein solidarisches und friedliches Miteinander gewährleistet werden.
Am Gedenkstein für die sowjetischen und polnischen Zwangsarbeiter legte die VVN-BdA stellvertretend für alle Anwesenden einen Kranz nieder. Die Gedenkveranstaltung endete in gemütlicher Runde in einem Café in der Nähe.
Aus: Antifa Nachrichten 4/2013
Die Rede von Angelika Messmer im Wortlaut gibt es hier.
Wir bedanken uns bei der BNN für ihre Berichterstattung (auf das Bild klicken):