Nies, Wilhelm

geboren am 30.6.1888 in Malsch/Rastatt, gestorben am 21.1.1967 in Karlsruhe

 

Wilhelm Nies erlernte nach der Volksschule den Beruf eines Mechanikers, trat bereits mit 17 Jahren 1905 der SPD bei. Von 1908-1910 musste er seinen Wehrdienst beim Leib-Grenadier-Regiment 109 in Karlsruhe leisten, dessen Denkmal seit 1924 bis heute in der Karlsruher Stadtmitte am Europaplatz den Militarismus glorifiziert. Nies kam 1912 nach Karlsruhe, musste als Soldat den Ersten Weltkrieg von 1914 bis 1917 mitmachen, bis er kriegsverwundet zurückkehrte. 1922 wurde er hauptamtlicher Gewerkschaftssekretär, Kassierer, des DMV (Deutscher Metallarbeiterverband), war bis 1933 Stadtverordneter der SPD, sowie einer der Geschäftsführer beim örtlichen Reichsbanner. Das defensive Verhalten der Gewerkschaften nach der Machtübergabe an den Faschismus am 30. Januar 1933 und ihre Kooperation am 1. Mai 1933, den die Nazis vom „Kampftag der Arbeiterklasse“ zum nationalen „Tag der Arbeit“ deformierten, nutzte ihnen nichts. Am 2. Mai 1933 stürmte die SA die Gewerkschaftshäuser. In Karlsruhe wurden bis auf den hiesigen DMV-Vorsitzenden Gustav Schulenburg, weil abwesend, alle hauptamtlichen Gewerkschafter verhaftet. Auch Wilhelm Nies kam für 2 Monate in „Schutzhaft“ ins Bezirksgefängnis Karlsruhe (Riefstahlstraße). Als ehemaligem Gewerkschaftskassierer war ihm noch zusammen mit DMV-Sekretär Ferdinand Rausch, die „ordnungsgemäße Übergabe“ des Gewerkschaftsvermögens an die DAF (Deutsche Arbeitsfront) übertragen gewesen und danach wurde er  ordnungsgemäß“ offiziell zum 4.7.1933 vom nun nicht mehr existierenden DMV entlassen. Nach seiner Entlassung war er arbeitslos und musste von Fürsorgeleistung mit weniger als 20,- RM die Woche leben. Am 18. Mai 1939 kam die Gestapo zu ihm in die Wohnung und verhaftete ihn. Nies geriet in die Verhaftungswelle, die in Vorbereitung des längst geplanten Krieges viele ehemalige „Politische“ betraf, selbst wenn sie, wie er, lange nicht mehr „auffällig“ gewesen waren. Weil Nies dabei noch in seiner Wohnung den Gestapobeamten Nagel mit der Aufforderung zum Zeigen des Ausweises erzürnt hatte, schlug dieser ihn mit seinem Pistolengriff und brach ihm dabei das Nasenbein. Abermals verbüßte Nies eine „Schutzhaft“ im Karlsruher Gefängnis, bis zum 18. Juni 1939. Doch diesmal wurde er aus der Riefstahlstraße unmittelbar in das KZ Buchenwald verbracht, von dort im März 1940 nach dem KZ Mauthausen, aus dem er im August 1941 nach Dachau kam. Am 10. Juni 1945 nach Karlsruhe zurückgekehrt, attestierte ihm 10 Tage später der bekannte Weiherfelder Arzt Dr. Friedrich Kappes einen schlechten Ernährungszustand, fehlende Zähne im Oberkiefer, schlecht verheilte Brüche am unteren Schienbein mit erheblichen Gehbehinderungen sowie ein geplatztes linkes Trommelfell. Außerdem gab er an, einen seelisch schwer mitgenommen, depressiven Menschen vor sich zu haben. Nies hatte die KZ-Haft unter den schlimmsten Bedingungen überstanden. Im März 1940 war er in Buchenwald zum Kapo in einem Bauzug bestimmt worden. Darunter befanden sich körperlich vollständig erschöpfte jüdische Häftlinge, deren von ihnen zu schiebenden Wagen er nicht voll beladen ließ. Daraufhin war er von SS-Wachleuten geschlagen worden, und dabei war das Trommelfell zerrissen worden. Im KZ Mauthausen war er im berüchtigten Steinbruch und musste mit Mithäftlingen bis 10 Zentner schwere Steine schleppen, unter Schlägen der Wachmannschaft und nichtpolitischer Kapos. Für das Abgeben vom eigenen Essen an einen Kameraden erhielt er nach Meldung 25 Stockschläge auf das Gesäß zur Strafe. Auch die oft eingesetzte Strafe von 1 Stunde Aufhängen mit Ketten am Handgelenk musste er zweimal erleiden. Fast invalide wurde er am 15. August 1941 nach dem KZ Dachau verlegt, wo am 24. August 1942 bei einem Arbeitsunfall in einem Außenkommando beim Fernheizwerk Dachau eine Unterschenkelfraktur erleidet. Unter den schlechten Bedingungen eilt der Bruch nicht richtig aus, 26 Wochen im Gips in der Krankenbaracke bewahren ihn möglicherweise aber vor noch Schlimmerem. Im Winter 1942 hatte er sich vom Abfallplatz Altpapier besorgt zum Ausstopfen seiner Schuhe und war dafür gemeldet worden: eine Stunde „Baum“, d.h. Aufhängen an Handgelenken mit Rücken nach oben ohne Fußstütze. Körperlich vollkommen zerrüttet, er wiegt noch 48 kg gegenüber seinem Normalgewicht von 76 kg 1939, erlebte er die Befreiung von Dachau durch die US-Armee; wegen der Typhusgefahr konnte er erst am 10. Juni 1945 aus der Quarantäne entlassen werden. Die 1. Ehe, aus der vier Kinder stammten, war vonseiten der Ehefrau während seiner KZHaft 1940 geschieden worden, 1946 heiratete er abermals und hatte mit seiner 26 Jahre jüngeren Partnerin zwei weitere Kinder. Trotz seiner angegriffenen Gesundheit, gehörte Wilhelm Nies zu denjenigen politisch Verfolgten, die sich um die Soforthilfe für die politisch Verfolgten und zurückkehrenden KZHäftlinge kümmerten und dazu eine Vereinigung organisierten. Im September 1945 meldete er für den „vorläufigen Ausschuss“ über die städtische Verwaltung bei der Militärregierung die „Freie Vereinigung, Bund ehemaliger Konzentrationäre Karlsruhe und Umgebung“ zur Lizenz an. In der eingereichten Satzung war das Vereinziel auf die „politischen Häftlinge“ festgelegt, „die während der Hitler-Zeit durch die Nazi-Justiz und Gestapo-Willkür ihrer persönlichen Freiheit beraubt wurden und infolgedessen schwere körperliche und seelische Schädigungen erlitten haben.“ Als „wichtigste Aufgabe“ war festgehalten, „das Streben nach Wiedergutmachung und Entschädigung der in den KZ-Lagern erlittenen Sach- und Körperschäden; auch die Angehörigen der in den KZ-Lagern Verstorbenen sollen mit erfasst werden. Der Bund vertritt die Interessen einer Mitglieder auf absolut neutraler Grundlage unter Ausschluss aller parteipolitischen und religiösen Beeinflussung.“ Erst am 6. Januar 1946 konnte schließlich die öffentliche Gründungsversammlung der sich nun „Bund ehemaliger politischer KZ-Leute (und politisch Verfolgter) Karlsruhe und Umgebung“ – Namenszusatz seit März 1946 – nennenden Vereinigung erfolgen. Dies war die Vorläuferorganisation der VVN, der Karlsruher Bund war Bestandteil des auf Landesebene seit März 1946 bestehenden „Landesausschuss Württemberg-Baden der politisch Verfolgten des Naziregimes“, aus dem auf der Interzonenkonferenz vom 15.-17. März 1947 in Frankfurt a.M. die VVN – „Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes“ hervorging, worauf der „Landesausschuss“ auf seiner Konferenz am 17. Mai in Stuttgart diesen Namen annahm und seine Vertretung im Rat der VVN nahm. Wilhelm Nies war zugleich auch Gewerkschafter der ersten Stunde und bei der Wiedergründung der Gewerkschaften in Karlsruhe im August 1945 dabei und konnte seit März 1946 für den Industrieverband Metall als Vorläufer der Gewerkschaft IG Metall (Oktober 1948) im ADGB (Oktober 1949: DGB). Seine Metallgewerkschaftsadresse Erbprinzenstraße 31 war zugleich die Anschrift des Bundes ehemaliger KZ-Leute. Wegen dieser Doppelbelastung gab Nies auf der Mitgliederversammlung am 23. Juni 1946 den Vorsitz der Vereinigung der Verfolgten an den Rechtsanwalt Dr. Franz August Hoffmann (SPD) ab.

 

Quellen/Literatur: Landesarchiv Baden-Württemberg – GLA 480/1183; Stadtarchiv Karlsruhe 1/H-Reg 2004 und 1/BezVerwAmt 55; VVN-BdA-Archiv im Hauptstaatsarchiv Stuttgart Nr. 91 und 199; Wolfgang Glaeser: Unser die Zukunft. Dokumente zur Geschichte der Arbeiterbewegung in Karlsruhe 1845-1952. Hrsg. Von der Industriegewerkschaft Metall, Verwaltungsstelle Karlsruhe. Heilbronn 1991.