Tag der Befreiung 2022
Die VVN-BdA rief in Karlsruhe zum 8. Mai zur Kundgebung auf dem Platz der Menschenrechte auf. Kreissprecher Jens Kany bedankte sich in seiner Eröffnungsrede bei den Soldatinnen und Soldaten der Anti-Hitler-Koalition, sowie bei den Widerstandskämpferinnen und Widerstandskämpfern, der Résistance. Durch deren Wirken konnte die deutsche Kriegsmaschinerie militärisch niedergerungen werden. Die besondere Leistung der Sowjetunion und der Roten Armee wurde hervorgehoben. „In diesem Zusammenhang ist es ein Affront, dass es jetzt u.a. in Berlin verboten wurde, die Flagge der Sowjetunion zu zeigen. Auch ist im Gespräch, das Sowjetische Ehrenmal in Berlin-Tiergarten zu demontieren. Ebenso skandalös ist es, dass vielerorts in Deutschland Vertreter Weißrusslands und der Russischen Föderation von Gedenkveranstaltungen zum 8. Mai ausgeladen wurden. Die VVN-BdA Bundesorganisation hat sich in einer Stellungnahme klar gegen jede Ausgrenzung beim Gedenken an die Opfer der faschistischen Barbarei und der Befreiung von Faschismus und Krieg gewendet.“ Es wurde betont, dass die VVN-BdA in Karlsruhe selbstverständlich daran festhält, ihre jährliche Gedenkveranstaltung für die Opfer des Faschismus auch am Ehrengräberfeld für die sowjetischen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter abzuhalten, wo 2017 gemeinsam mit einem Vertreter des Generalkonsulats der Russischen Föderation ein Kranz niedergelegt wurde.
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Lothar Letsche stellte in seinem Redebeitrag gleich zu Beginn fest: „Wenn es nach der VVN-BdA ginge, wäre der 8. Mai ein gesetzlicher Feiertag.“ Die entsprechende Petition der VVN-BdA wurde mit über 175.000 Unterschriften wenige Tage zuvor an den Bundesratspräsidenten übergeben. Lothar ging auf seine eigene Biographie als buchstäbliches Kind der Befreiung ein und erzählte die Geschichte seines Vaters: „In den letzten Apriltagen 1945 mussten Gefangene des Zuchthauses Ludwigsburg im Hof antreten. Nach einem Fußmarsch hatten sie Güterwagen zu besteigen, die sie in das Konzentrationslager Mauthausen in Österreich bringen sollten. In Donauwörth kam der Zug zum Stehen. Die Eisenbahnbrücke war am 19. April von Tieffliegern zerstört worden. … Wäre der Zug über die Donau bis nach Mauthausen gelangt, stünde ich heute nicht hier.“ Wir als heute in Deutschland Lebende verdankten die Grundlagen eines Lebens in Frieden, Freiheit und Vielfalt der Anti-Hitler-Koalition, den Siegern des 8. Mai 1945. „Ohne Stalingrad kein Grundgesetz“, zitiert er den ehemaligen Bundesverfassungsrichter Gerhard Leibholz. Mitten in Paris gebe es heute noch eine U-Bahn-Station mit dem Namen „Stalingrad“. „Die Franzosen wissen sehr gut, eine zweite Front, die ab dem 6. Juni 1944 ihr Land befreite, hätte es nicht gegeben, wenn sich die Rote Armee nicht schon auf die deutsche Grenze zu bewegt hätte.“ Auf den aktuellen Konflikt in der Ukraine bezogen stellte Lothar fest: „Deutschland hätte eine große Chance, als 1945 vom Faschismus befreites Land, das aus seiner Vergangenheit etwas gelernt hat, unter Nutzung aller seiner gewachsenen politischen und Wirtschaftsbeziehungen diplomatisch alles zu tun, damit der Krieg sofort beendet wird, und die Probleme, die dem Konflikt zugrunde liegen, anders gelöst werden.“ Stattdessen aber würden mit Benzin beladene Tanklaster als Löschfahrzeuge zu den Brandherden geschickt. Rüstungsindustrie, Geheimdienste und deren Interessen bestimmten die politische Logik. Deutschland werde zusehends von einem Sozialstaat in einen Rüstungsstaat verwandelt. Durch Sanktionen, Waffenlieferungen und demonstrative Schulterschlüsse sei Deutschland längst im Krieg.
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Im Redebeitrag des Offenen Treffens gegen Krieg und Militarisierung (OTKM) wurde der Zusammenhang zwischen Krieg und Kapitalismus hervorgehoben: „Kapitalismus gibt es nur mit und nicht ohne Krieg. In einem System der Konkurrenz ist Frieden nicht vorgesehen. Im Zweifelsfall ist immer die Kriegsmaschinerie das unverzichtbare Mittel, die Profite aufrecht und den Kapitalismus am Leben zu erhalten. Daher müssen wir auch davon ausgehen, dass im Zuge der weiteren Zuspitzung der kapitalistischen Krise, Krieg immer öfter auf der Tagesordnung stehen wird.“
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Der Vertreter des Offenen Antifaschistischen Treffens (OAT) stellte fest: „Heute ist Feiertag. Wir feiern einen historischen Sieg über den Faschismus und über den Krieg. Aber: ‚Erinnern heißt kämpfen.’ Wir tragen die Verantwortung das Erkämpfte am Leben zu erhalten.“ Doch gerade der Kampf gegen Faschismus und Krieg sei in Zeiten einer militaristisch und national aufgeladenen Stimmung schwierig. Es werde ein Burgfrieden propagiert, in dem „alle“ für „unseren Krieg“ Opfer bringen müssten. „Der Krieg hingegen ist längst da, und der Staat ist längst Teil davon – wir können uns nicht auf die Staaten verlassen, den Krieg möglichst bald zu beenden, um dann in der Welt Frieden zu stiften, oder überhaupt Frieden zu belassen. Unsere Interessen als Werktätige – die in Frieden leben wollen, die frei vom faschistischen Terror sein wollen, die ein gutes Leben ohne Armut führen wollen, die weiterhin eine fruchtbare und bewohnbare Erde brauchen – diese Interessen können wir nur selbst erkämpfen und verteidigen.“
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Musikalisch umrahmt wurde die Veranstaltung von Helga Betsarkis (Akkordeon) und Petra Friedrich (Geige). Lothar Letsche betonte, wie passend der musikalische Rahmen sei und ging auf unsere verstorbene Ehrenvorsitzende Esther Bejarano ein: „Sie musste, um zu überleben, im Mädchenorchester von Auschwitz Akkordeon spielen. Auch am Tag ihrer Befreiung hat sie dieses Instrument gespielt und mit den amerikanischen und sowjetischen Soldaten getanzt.“
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Wir dokumentieren die Rede-Manuskripte der Ansprachen auf unserer Kundgebung: